Dienstag, 28. März 2023

Medical Camp

Ich habe wieder Wüstenglow. Dieses besondere Leuchten, welches ich immer nur hier in Laisamis finde. Hoch im Norden, in der Dürre, noch hinter dem Samburuland. 

Erinnert ihr euch noch an die Berichte aus dem letzten Dezember? Wir hatten damals eine kleine katholische Krankenstation besucht und Ordensschwester Tabitha getroffen.  Tabitha hatte mich damals inständig gebeten wiederzukommen und als Ärztin ein paar Tage hier zu arbeiten. Ich habe Wort gehalten und obendrein noch Wolf den Allgemeinmediner, Ulf den Zahnarzt, Rainer den Augenarzt, Betty und Fred als Augenoptiker und Rachel als Sprechstundenhilfe im Gepäck. 

Mir wurde ein leeres Zimmer zum Arbeiten zugewiesen. Lediglich ausgestattet mit einer alten verrosteten Liege und einem alten Drehhocker. 


Zum Glück haben wir unsere Arbeitsinstrumente und auch Unmengen von Medikamenten im Gepäck. Nachdem ich mit Rachel ein bisschen gewirbelt und geputzt hatte, konnte man das Zimmer tatsächlich auch als Sprechzimmer bezeichnen. 



Während Ulf hunderte von Zähnen zieht und Betty und Rainer täglich unzählige Menschen mit Brillen versorgen, sehe ich nur die Frauen. Schwanger und nicht schwanger. Spindeldürr, weil es kaum etwas zu Essen gibt. Hunger ist hier normal. Das Durchschnittsgewicht heute waren etwa 42 kg. In den letzten zwei Tagen waren alle Frauen, die ich gesehen habe beschnitten. Und zwar massiv. In der Regel passiert das im 10. Lebensjahr. Wenn die Mädchen 12 Jahre alt sind werden sie verheiratet, dann kommt meist auch noch Gewalt ins Spiel.

Die Infektions- und HIVraten sind enorm hoch. Es braucht hier viel Fingerspitzengefühl und Ruhe, um die Frauen, die ja von selbst wegen Beschwerden kommen, zu untersuchen. Ich halte ja viel aus, aber hier oben sind selbst meine Schultern manchmal nicht stark genug.... 

mein Wartezimmer


meine älteste Patientin heute (83 Jahre) hoffte schwanger zu sein

mein fantastisches lokales Gyn Team

Louise wohnt am Lake Turkana ist 300km gereist, um sich untersuchen zu lassen

und so siehts aus, wenn man mal schnell jemanden verlegen muss

Und trotz alledem ist es eine wunderbare Aufgabe hier wenigstens ein bisschen zu lindern. Auch wenn es nur der Tropfen auf den heissen Stein ist. Wir behandeln vorrangig Infektionen und machen machen Vorsorgeuntersuchungen. Und erklären ganz viel. Und halten Händchen. Bezahlt werden wir mit ungezählten Umarmungen.

    





Sonntag, 19. März 2023

Willkommen Samuel ODER Mit dem Po voran ins Leben

Tage im Medical Center sind wie ein Potpourri und meistens wirds spannend, wenn man eigentlich gar nicht soviel Zeit hat. Letzten Freitag zum Beispiel. 

Da klopft es zaghaft an unsere Sprechzimmertür. Das ist ja schonmal ein Fortschritt, hab ich gedacht. Normalerweise wird immer gleich die Tür aufgerissen. Deshalb schließen wir uns in der Gyn Sprechstunde immer mit den Patientinnen ein. Sicher ist sicher. Nun ja, es klopfte also recht zaghaft an die Tür. Klang nicht dringend. Wir beendeten unsere Untersuchung. Kurz vorm Öffnen der Tür dann nochmal ein etwas fordernderes Klopfen. Na gut...  Eine etwas verschrocken dreinblickende Krankenschwester berichtete, dass es im Nebenzimmer einen Notfall gäbe. "Soso" dachte ich, da hätte man ja mal etwas energischer Anschlagen können. Was war denn los?

Im Nebenzimmer lag eine halbentkleidete Patientin schweigend auf einer Liege. So wie der Bauch aussah offensichtlich schwanger. Auf dem Tuch zwischen den Beinen dicke grüne Flüssigkeit (stellt euch Erbsensuppe vor). Nurse Jane meinte mit belegter Stimme, es gibt keine Herztöne und wir hätten es hier mit einem verstobenen Baby zu tun. Sie hätte von der Scheide aus getastet und der Kopf wäre schon ganz weich. Die Patientin sei heute das erste mal in der Schwangerschaft zu einer Kontrolle gekommen.

Manchmal ist es ja wirklich schlimm, aber oft auch nur halb. Also erstmal schauen. Beim Untersuchen habe ich habe ich tatsächlich auch etwas Weiches getastet. Das war aber kein Kopf, sondern der Po von einem Baby. Und der wollte raus. Mit Hilfe des Ultraschallgerätes war schnell klar, dass das kleine Babyherzchen sehr wohl schlug, nur eben an anderer Stelle als erwartet. 

Ok, erstmal alle beruhigen. Also ich meine alle aufgeregten Krankenschwestern. Die Mutter Ruth und ich waren relativ relaxed. 

Das Baby wollte also raus. Die mit dem Ultraschall kontrollierten Herzschläge sahen einigermassen übel aus. Wehen hatten wir nur schwache, ein Medikament um die Wehen stärker zu machen war nicht vorhanden. Ich hab Ampullen mit Oxytocin (Wehenmittel) zu Hause im Kühlschrank. Der war aber weit weg. Und der Liebste hätte es bringen können, uns rannte aber die Zeit weg. Irgendjemand kam auf die geniale Idee ein anderes Medical Center in der Nähe anzufragen und während wir also schon einen venösen Zugang legten, machte sich ein Motoradtaxi auf den Weg, um uns das Medikament zu besorgen. 

Immerhin hatten wir Sauerstoff. Nützte leider bei dem nur noch träge arbeitenden kindlichen Herzchen nicht viel. Aber besser als gar nichts. Naja, auf unser Medikament konnten wir nicht warten, Wehen hatte Ruth bedauerlicherweise nahezu keine. Option Kaiserschnitt stand nicht zur Verfügung.

Also einfach pressen lassen, auch ohne Wehe. War mal was Neues. Auch für mich. Grosses Erstaunen erntete ich beim Personal, als ich Ruth pressen ließ und den Po aber mit einem Tuch fleissig zurückpresste in den Geburtskanal. Immer wieder. Immerhin haben sie mich machen lassen. Irgendwann hatten Ruth und ich dann soviel Druck in der Gebärmutter aufgebaut, dass wir es wagen konnten. Po und Bäuchlein kamen ganz rasch. Die Nabelschnur recht dünn und schlaff, die Ärmchen unglücklicherweise beide über dem Köpfchen hochgeschlagen. Wenn man nun gelernt hat, wie man  ein Baby in solch einer Situation bewegt und dreht und die Ärmchen rauspuzzelt, dann klappt das auch (immer wieder Danke Sven!). 

Da hatten wir nun also unser kleines Bündel. Recht blau und schlaff, aber eine ordentliche Handtuchmassage kann hier Wunder bewirken. 


Samuel heisst der kleine Mann, der so mit seinem Po voran ins Leben geplumst ist. Was er für eine Zukunft hat vermag ich nicht zu sagen. Für den Anfang hatte er jedenfalls sehr viel Glück.....